Die Sammlung Volkskunde der Museumslandschaft Hessen Kassel blickt auf eine wechselhafte Vergangenheit zurück. Ihre Geschichte beginnt mit der Eröffnung des Hessischen Landesmuseums 1913. Ansätze liegen aber bereits im späten 19. Jahrhundert, als das Nationalbewusstsein des Bürgertums zu einer Besinnung auf die kulturellen Werte des eigenen Volkes führte. Gesammelt wurden hessische Möbel- und Haushaltsgeräte, handwerkliche Erzeugnisse wie Töpferei- und Schmiedeprodukte, hessische Trachten und landwirtschaftliches Gerät.
- Messer- und Gabelputzmaschine, 2. Hälfte 19. Jh./1. Hälfte 20. Jh.
- Handgeschriebenes Rezeptbuch, 1926
- Löffelkörbchen, 1841
Nach Verlusten im Zweiten Weltkrieg vermehrte sich der Bestand der Sammlung erheblich, doch standen seit 1980 keine Ausstellungsräume mehr zur Verfügung. Die größte hessische Volkskundesammlung mit Schwerpunkten in den Bereichen der Tracht, der vorindustriellen Arbeit, des Wohnens und des Spielzeugs war deshalb lange Jahre vollständig magaziniert und konnte nur in Sonderausstellungen und Veröffentlichungen teilweise vorgestellt werden.
Das soll sich nun ändern: in der neuen Dauerausstellung des Kasseler Landesmuseums wird die Sammlung Volkskunde endlich wieder öffentlich zu bestaunen sein. Auf mehr als 1000 qm wird sie den Blick auf die hessische Landes- und Kulturgeschichte werfen, von Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Dies ist gar nicht so einfach. Wie in vielen anderen volkskundlichen Sammlungen auch, sind vor allem für den Zeitraum nach 1945 erhebliche Defizite im Sammlungsbestand zu beklagen. Es stellt sich die Frage: Wann beginnt Geschichte und wann fängt man an, die Gegenwart zu sammeln? Ist eine Tupper-Dose aus den 1970er-Jahren, die bei vielen vielleicht noch im eigenen Haushalt täglich benutzt wird, schon alt genug für die Vitrine? Wie sieht es aus mit einer Baggy-Jeans aus den 2000er-Jahren?
- Einkochgläser und -thermometer von Weck und Schild, 2. Hälfte 19. Jh./1. Hälfte 20. Jh.
- Koffer, der von einer deutschen Familie bei der plötzlichen Vertreibung aus ihrem Haus in Nordböhmen 1945 mitgenommen wurde
- Bohnergerät von Vorwerk, 1950er-/60er-Jahre
Auch hat sich die Sammlungsstrategie gemeinsam mit dem Fachverständnis gewandelt. Während früher eher typologisch gesammelt wurde, sammeln wir heute vor allem biografisch. Das heißt in die Sammlung und zu den anderen rund 100.000 Objekten kommen nur die Dinge, von denen wir die Geschichte kennen. Wer hat das Objekt benutzt? Was war die Funktion und hat sich diese im Laufe der Zeit verändert? Wurde es beispielsweise ergänzt? So erzählen die Objekte Geschichten und lassen sich in den sozialgeschichtlichen Kontext einordnen. Doch letztendlich liegt die Interpretation der Objekte immer auch bei den Besucherinnen und Besuchern. Denn ein Objekt kann mehr als nur eine Geschichte erzählen…
Autorinnen: Dr. Martina Lüdicke, Almuth Kölsch
Ausschnitte dieses Beitrags wurden bereits unter dem Titel „Alles Hessen – oder was?“ in Welche Zukunft hat das Sammeln? Eine museale Grundaufgabe in der musealen Welt (Hrsg. Claudia Selheim), Nürnberg 2012, sowie auf museum-kassel.de publiziert.
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